Der Taufstein des Christoph von Urach, 1518



EXTRUCTUM  ANO  VIRGINEI  PARTUS  1518  PRIDIE  KALENDAS
MAIAS  PER  ME  CHRISTOPHORUM  STATOVA  RIVEM  CIVEM  VRACH SEM.

Aufgestellt im Jahr der jüngfräulichen Geburt, am 20. April 1518,
durch mich, Christoph, Bildhauer, Bürger zu Urach


Rund zwanzig Jahre nach der prächtigen Kanzel entstand in Urach ein weiteres Meisterwerk der schwäbischen Spätgotik, der Taufstein. Anders als bei der Kanzel müssen wir hier jedoch über den Meister nicht spekulieren - und dafür hat er selbst gesorgt, indem er obige Inschrift in die Kehle des Beckenrandes gemeißelt hat. Und da das Zepter des in einem der acht Felder dargestellten Statthalters Joseph direkt auf das Wort "Christophorum" in dieser Inschrift zeigt, vermutet man, in der Figur des Joseph sogar ein Selbstbildnis des Meisters zu sehen.

Christoph (ca. 1480 - 1550) gehört der "3. Generation" des Uracher Meisterkreises an und ist deren herausragendster Vertreter. Typisch für ihn und viele andere Künstler seiner Generation ist eine "Zweiteilung" des Lebenswerkes und zwar aus zwei Gründen:
  1. Er steht am Übergang des Mittelalters zur Neuzeit. Während sein Frühwerk noch der Spätgotik angehört, nimmt er in seinem späteren Schaffen die Impulse der Renaissance auf.
  2. Wegen der Einführung der Reformation in Württemberg (1534) hat sich die "Auftragslage" für viele Künstler derart verschlechtert, dass sie gezwungen waren sich außerhalb des Herzogtums neue Aufgaben zu suchen. Christoph hat vermutlich um 1530 Urach verlassen und sich im Badischen niedergelassen. Dort sind von ihm nur noch Grabdenkmale überliefert, z.B. das des Markgrafen Philip I. von Baden in Baden-Baden (1537). Das letzte ihm sicher zuzuschreibende Werk stammt aus dem Jahr 1543.
Während das Frühwerk von Meister Christoph nicht sicher erschlossen ist, kennen wir einige Werke, die um die Zeit des Uracher Taufsteins entstanden sind: Figurenschmuck am Herrenberger Chorgestühl (vermutlich 1517), die Marter des hl. Veit in Ehingen (1519), der Hochaltar in Besigheim, ein Grabmal in der Pfarrkirche von Gärtringen (1520) sowie - wohl als letztes Werk seiner Uracher Zeit - der Taufstein von Upfingen. Dabei lassen die beiden letzten Werke erkennen, dass sich Christoph bereits vom spätgotischen Formenschatz löst und dem der Renaissance zuwendet. Auch in der Amanduskirche selbst gibt es noch Werke von seiner Hand, z.B. einige Konsolsteine.

Wer wann die Konzeption für den Uracher Taufstein entworfen und wer den Auftrag erteilt hat ist uns nicht bekannt. Man weiß auch nicht, ob es in den 20 Jahren davor einen anderen Taufstein in der Kirche gegeben hat. Die Konzeption des Taufsteins könnte also durchaus sogar noch auf die ursprünglichen Planungen, also auf die Zeit Herzog Eberhards V. zurückgehen. Das ausgeklügelte ikonographische Programm stammt mit großer Wahrscheinlichkeit von den "Brüdern vom gemeinsamen Leben", für die Graf Eberhard V. die Uracher Kirche zur Stiftskirche erheben ließ und die er 1477 erstmals hier angesiedelt hatte.

Falls sie es waren, die den Auftrag zum Taufstein erteilt haben, dann waren die Auftraggeber nicht mehr da, als Meister Christoph diesen im Jahre 1518 in der Amanduskirche aufstellte. Herzog Ulrich, Großneffe und Nachfolger von Herzog Eberhard V. hatte 1517 das Haus der Brüder vom gemeinsamen Leben aufgelöst und in ein weltliches Chorherrenstift umgewandelt.

Die "Taufkapelle" in der der Taufstein heute steht ist übrigens nicht der Platz, an dem er ursprünglich aufgestellt wurde. Zwar ist diese Kapelle schon zusammen mit der Kirche entstanden, hat aber wohl einen Altar enthalten. Der Taufstein stand urprünglich im Hauptschiff und wurde erst 1865 in diese Kapelle versetzt.

Der aus einem Sandsteinblock gefertigte Taufstein ist in allen seinen Maßen "nach steinmetzischer Art aus der rechten Gemometrie" konstruiert, wobei die wohlgeordneten Proportionen vom Betrachter nur unbewußt wahrgenommen werden.
Auf einer achteckigen in den Boden eingelassenen Platte liegt zunächst ein Sockel, der sich schon durch sein grobkörniges Material vom eigentlichen Taufstein absetzt. Mit diesem Sockel wird das Oktogon in einen achtzackigen Stern überführt.

Der Uracher Taufstein ist aber nicht nur wegen seiner Konstruktion und seiner exzellenten handwerklichen Ausführung so bemerkenswert sondern auch wegen seines ikonographischen Programms. Nicht nur, dass für die acht Seiten der Bildzone acht alttestamentliche Gestalten ausgewählt wurden. Die Besonderheit besteht vor allem darin, dass auch inhaltlich ein eindeutiger Bezug zum Taufgeschehen hergestellt wird indem Gestalten ausgewählt wurden, deren Biographien nach mittelalterlicher Deutung des Alten Testaments verborgene Hinweise auf jeweils eine Dimension des Taufgeschehens symbolisieren.

Um alle Seiten des Uracher Taufsteins mit kurzen ikonographischen Erläuterungen zu betrachten wählen Sie bitte in der Panorama-Auswahl den "Objektfilm: Taufstein".